Zip-Drive

Vorstellung während der Okawa Foundation Veranstaltung
Das Zip-Drive wurde von SEGA als Add On für die hauseigene Konsole Dreamcast designt. Auf den ersten Blick erinnert es an das Nintendo 64DD, das Ende 1999 als Zusatz für das Nintendo 64 in Japan veröffentlicht wurde. Dieses nutzt 64 MB Floppy Disks und brachte in seiner kurzen Lebenszeit bis zur Einstellung 2001 wenige Floppy Disk Spiele hervor. SEGAs Zip-Drive wurde entwickelt, um insbesondere die Speicherfähigkeiten der Dreamcast Konsole zu erweitern.
Denn die Visual Memory Unit verfügt lediglich über eine Kapazität von 128 KB Flash-Speicher, unterteilt in 200 Blöcken (ein Block entspricht 512 Byte) zusammen mit dem reservierten Systemspeicher von 28 KB. Zusätzliche Inhalte neben den reinen Speicherdaten der Dreamcast Spiele – also Internet-Downloads wie Bilder, Videos E-Mails, Musik-Dateien oder gar DCLs zu Dreamcast-Spielen – hatten kaum Platz auf den Speicherkarten. Das Zip-Drive sollte dies für die Zukunft verbessern. Eine Zip-Disk bot 100 MB Speicher. Entwickelt wurde das Format Zip-Drive und damit die ATAPI-Technik durch das Unternehmen Iomega und wurde bereits Ende 1994 vorgestellt: original mit 100 MB Speicherkapazität, später mit 250 MB und schließlich 750 MB. Dieses sogenannte Super-Floppy war die beliebteste Art am Markt, schaffte es aber nie, die damals im PC-Bereich viel benutzten und bekannten 3,5“ Floppy Disketten mit ca. 1,44 MB Speicherkapazität zu ersetzen.
In Zusammenarbeit mit SEGA entstand das Zip-Drive für Dreamcast. Die Veröffentlichung wurde für das dritte Quartal 2000 für ungefähr 199 US-Dollar geplant. Die Zip-Disks sollten rund 10 US-Dollar kosten.
Die Geschichte des Zip-Drive für Dreamcast erinnert durchaus an altbekannte Probleme bei SEGA und der internen Kommunikation untereinander, wie sie bereits in der Zeit der 16-Bit Ära immer wieder neu herauszulesen war. Fans erinnern sich an die Komplikationen zur 32X-Hardware und die verschiedenen Vorstellungen zwischen SEGA of America und SEGA of Japan. Selbes gilt für den Release des SEGA Saturn in den verschiedenen Ländern, den SEGA of America am liebsten noch gar nicht haben wollte – denn der Genesis lief viel zu gut.
SEGAs Entwicklung des Zip-Drive nimmt nicht solche Ausmaße an, zeigt aber ähnliche Situationen auf. Zunächst ist gar nicht klar, wer bei SEGA dieses Projekt überhaupt initiierte. Klar ist nur, dass sich die technischen Abteilungen des Zip-Herstellers Iomega und SEGA trafen. Die Rede ist von einem John M., der als Software-Ingenieur durch seinen Vorgesetzten in das Projekt eingebunden wurde und zu dieser Zeit daher vermutlich bei Iomega beschäftigt war. Dies wird nicht explizit benannt. Er nahm an einem Treffen gemeinsam mit einem Japaner teil, der als Vermittler zwischen Iomega und SEGA fungierte. Es ist nicht bekannt, wann und wo dieses Treffen stattfand. Doch dieser Japaner schlug die Idee der Zip-Drive Entwicklung durch Iomega für Dreamcast vor – vermutlich in Amerika. Denn bekannt ist, auch SEGA of America war in diesem Projekt eingebunden. Es gab John M. die Möglichkeit, nach Japan zu reisen und die SEGA Ingenieure vor Ort zu treffen. In Japan starteten die Verhandlungen in den obersten Positionen des Unternehmens und das Projekt Dreamcast Zip-Drive bekam grünes Licht. Auch hier ist nicht bekannt, zu welchem Zeitpunkt die Entwicklung begann. Iomega sollte das Gehäuse, die Elektronik und die Software des Zip-Drive für Dreamcast entwickeln, während SEGA dieses ATAPI-Laufwerk anschließend zur Verfügung gestellt bekam, um es als Dreamcast Zip-Laufwerk final ins durch SEGA gefertigte Gehäuse zu verbauen. (Bildquelle: sega-dreamcast-info-games-preservation.com)
Gekoppelt werden sollte das Zip-Drive anschließend über den Extension Port der Dreamcast Konsole – wie das Karaoke System. Vermutlich also befanden sich beide Geräte zur selben Zeit in der Entwicklung, damit Dreamcast, Karaoke und Zip-Drive auch gemeinsam als aufgebauter Tower verbunden funktionieren konnten. Dreamcast sollte bzw. hätte dann als Multimedia-Konsole beworben werden können: Videospiele, Karaoke-System, Multimedia-Downloads sowie Download-Inhalte für Spiele, Karaoke, Musik, Filme und mehr.
„Wir haben uns für ein Zip-Laufwerk wegen seiner Haltbarkeit und geringen Kosten entschieden. Für Gaming-Zwecke ist Haltbarkeit unerlässlich. Dies ist nur der erste Schritt von dem, was SEGA plant.“
ein SEGA-Sprecher
Die Elektro-Ingenieure bei Iomega, die auch für die Software verantwortlich waren, erstellten eine sogenannte PCBA (Printed Circuit Board Assembly): eine Leiterplattenmontage. Dies stellt eine Schaltkreisplatine (PCB – Printed Circuit Board) dar, die aber mit allen notwendigen Komponenten ausgestattet wurde. Das heißt, diese sind sofort für den gewünschten Einsatz bereit, wie ihn SEGA benötigte. Danach entwickelte Iomega die ATAPI-Schnittstelle: für die Ansteuerung und damit den Betrieb des Laufwerks. Denn Iomega musste eine Verbindung zwischen Dreamcast und dem Zip-Laufwerk herstellen. Dabei sprach Ingenieur John M. die beiden Software-Frameworks an, die SEGA für Dreamcast nutzte. Das Framework, auf dem die die meisten Dreamcast Spiele entwickelt wurden, nannte sich Shinobi – ganz wie die Spiele-IP von SEGA. Das zweite Framework war Windows CE, wie es auf der Front der Konsole zu lesen ist. Für das Microsoft Programm gab es wenig zu tun, da hier alle Treiber und die Software bereits vorhanden waren, um das Dreamcast Zip-Drive darauf abzustimmen. Immerhin gab es die Iomega Zip-Drives auch für PC. Das Shinobi-Framework war dagegen komplizierter. Zwar bot es Spieledesignern viele Möglichkeiten, aber es war eben kein Betriebssystem wie Windows. Es bedufte eine Software als Mini-OS. Spieleentwickler benötigten die Möglichkeit, die Software in ihre Anwendungen zu implementieren, um überhaupt Zugriff auf die gespeicherten Dateien auf dem Wechseldatenträger zu bekommen: lesen, schreiben aber auch formatieren von Dateien und Verzeichnissen. Die Software-Ingenieure, speziell John M. schufen diese Software. Iomega besuchte SEGA of Japan insgesamt zweimal: Das erste Mal, um das Projekt zu starten und technische Entscheidungen zu treffen. Das zweite Mal, um die Technologie an SEGA zu übergeben. Auch der Zeitpunkt des zweiten Treffs ist nicht bekannt. (Bildquelle: thedreamcastjunkyard.co.uk)
Bis hierhin verlief das Projekt reibungslos und das Zip-Drive, das zuvor in den obersten Reihen des Unternehmens grünes Licht bekam, sollte der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Gezeigt wurde das Add On als Prototyp auf der japanischen Veranstaltung Okawa Foundation (Isao Okawa war zu diesem Zeitpunkt Chairman von SEGA). Weitere Vorstellungen hab es auf der Tokyo Games Show sowie auf der Game Developers Conference (GDC) in Kalifornien. Neben dem Zip-Drive wurden auch das Mikrofon, die Digitalkamera und der Breitbandadapter vorgestellt – noch vor dem Release der Dreamcast Konsole in Amerika und Europa. Die offizielle Mitteilung auf der japanischen SEGA Webseite unter sega.co.jp erfolgte am 21. April 1999.

Das Dreamcast Zip-Drive wurde nie veröffentlicht
Der Clou an der Sache aber: Die Marketing-Abteilung von SEGA of Japan hatte zu dieser Zeit offensichtlich erstens einen großen Einfluss auf Projekte im Unternehmen, mehr als die Ingenieure. Auf der anderen Seite heißt es, die Marketing-Abteilung wusste nichts von der Entwicklung dieses Add Ons, das aber zuvor durch hochranginge Leute grünes Licht bekam. Das Marketing wurde nicht nur von dem Dreamcast Zip-Drive überrascht, da sie erstmals von dessen Existenz während der Vorstellung auf der Messe oder Convention 1999 erfuhren. Sie sah auch keine Notwendigkeit für das Projekt, keinen nennenswerten Nutzen oder Vorteil für Dreamcast. Womit hätte man damit profitieren können? Da die Marketing-Abteilung den größeren Einfluss hatte, wurde das Dreamcast Zip-Drive eingestellt. Wann genau diese Entscheidung getroffen wurde, noch im Jahr 1999 oder ggf. erst im Jahr 2000, ist unbekannt. Es wird nachgesagt, auch SEGA of America hatte nicht genug Einfluss, um dieser Einstellung entgegenwirken. Daraus wurde bekannt, dass die Zusammenarbeit zwischen Iomega und SEGA rein auf technischer Basis erfolgte aber nie über das Marketing gesprochen wurde.
Heute ist diese damalige Situation im Grunde nicht nachvollziehbar. Wie kann in den obersten Ebenen eines Unternehmens ein Projekt gestartet werden und das Marketing wird nicht involviert? Wie können Prototypen auf einer Veranstaltung geplant und vorgestellt werden, ohne dass das Marketing im Unternehmen davon weiß? Wer richtet die Veranstaltungen, die Optik eines Standes samt Informationsschilder etc. aus, wenn nicht das Marketing? Insofern bleiben heute vermutlich viele Fragen zur Geschichte und der tatsächlichen Gründe zur Einstellung des Dreamcast Zip-Drive offen.
Der Journalist Adam Pavlacka, der die Vorstellung des Dreamcast Zip-Drive auf der Game Developers Conference (GDC) in Kalifornien besuchte, sprach von zwei verfügbaren Demos während der Messe – darunter ein Panzer Dragoon Saga Video als Media-File auf Zip-Disk. Zudem bestätigte er SEGAs Pläne, auch Fans die Möglichkeit der Spieleentwicklung zu bieten. Die Pläne sahen vermutlich so aus, dass das Zip-Drive via SCSI-Kabel mit dem PC verbunden werden konnte, während ein reduziertes Software Development Kit zur Verfügung stünde, um auf dem PC beschriebene Programme via Zip-Drive in den Speicher der Dreamcast laden zu können. Laut seiner Aussage nach dem Besuch der Game Developer Conference – vermutlich im März 1999 – war das Dreamcast Zip-Drive voll funktionsfähig. Es wurde mit Lese- und Schreibfunktionen präsentiert. Mittels dieser Technik wäre es auch für das Dreamcast Zip-Drive möglich, eigene Zip-Spiele ähnlich zum 64DD von Nintendo zu entwickeln oder eben zusätzliche Spielinhalte zu bieten – entweder über GD-Rom, Zip-Disk oder als Download aus dem Internet. Offiziell benannt wurden zu dieser Zeit Titel wie Quake III Arena oder Floigan Bros. zum Thema DLCs. Zu den Spielen, die zusätzliche Inhalte als Download auf der Visual Memory Unit erhielten, gehören aber auch Sonic Adventure 2 und Phantasy Star Online.
Wie viele Prototypen vom Zip-Drive hergestellt wurden, ist nicht bekannt. Erstmals tauchte im Jahr 2007 ein Gerät zu einem Preis von 10.000 US-Dollar im Internet auf. Auf eBay.de wurde 2018 ein Dreamcast Zip-Drive für etwa 4.000 Euro innerhalb eines Tages verkauft. Es heißt, ein Museum in San Francisco sei der Käufer gewesen.
Schaut man sich das damalige Umfeld an, so waren Floppy Disks und Zip-Laufwerke Ende der 1990er Jahre bereits ein rückläufiges Medium. Erscheinen sollte das Zip-Drive im dritten Quartal 2000. Hätte dieses Medium die Visual Memory Unit als Speichermedium dann möglicherweise ersetzt oder verdrängt? Für den Juli 2001 plante Sony eine 40 GB Festplatte für die PlayStation 2, während Microsoft im November 2001 die Xbox mit integrierter Festplatte von 8 GB Speicher veröffentlichte – das nächste, bessere und schnellere Speichermedium für zusätzliche Downloads. Insofern ist die Einstellung des Zip-Drive (offensichtlich nach Einspruch der SEGA Marketing-Gruppe Japan) durchaus verständlich. Für Nintendo war das 64DD Floppy Disk Drive jedenfalls ein kommerzieller Misserfolg und das Unternehmen gab nach nur 11 Monaten die bevorstehende Einstellung der Peripherie im Oktober 2000 bekannt. Welchen Nutzen hätte ein 199 US-Dollar teures Add On mit 100 MB Zip-Disks gegen Ende 2000 bis Anfang 2001 für Dreamcast eingebracht? Womöglich hätte die steigende Zahl an Downloads und DLCs in Zeiten des Online-Gaming via Breitbandadapter auch die Kapazitäten des Zip-Drive schon bald gesprengt. Zudem stellte SEGA etwa ein Jahr nach der Zip-Drive Präsentation im Sommer 2000 eine MP3-VMU mit 64 GB Speicher für ungefähr 100 US-Dollar vor.
(Bildquelle: sega-dreamcast-info-games-preservation.com)