Anfang Oktober 1993 veröffentlichte „The 3DO Company“ ihre 32-Bit Konsole 3DO in den Vereinigten Staaten – eine auf CD-ROM basierende neue Maschine. Für damalige Verhältnisse war sie sehr leistungsstark, kostete aber auch 699,99 US-Dollar. Auch Wettbewerber Atari trat in den Markt ein und launchte den Atari Jaguar am 23. November 1993 in Nordamerika. Die Spielkonsole zählte bereits zu den 64-Bit Konsolen auf Modulbasis und war zu einem Preis von 249,99 US-Dollar im Vergleich zum 3DO durchaus erschwinglich. Vorgestellt wurde der Jaguar erstmals im Juni 1993 auf der Summer Consumer Entertainment Show (S-CES) in Chicago. Auch auf der Las Vegas Winter-CES, die vom 6. bis 9. Januar 1994 stattfand, war der Jaguar präsent. Noch während der CES erhielt Joe Miller – Senior Vice President of Product Development, Sega of America – einen Anruf aus Japan: Der damalige CEO Hayao Nakayama hatte die CES und den Atari Jaguar zur Kenntnis genommen. Zu diesem Zeitpunkt war Sega Japan noch weit davon entfernt, den eigenen Mega Drive Nachfolger vorzustellen. Zudem sorgte sich Nakayama darüber, dass dieses neue System erst irgendwann nach 1994 verfügbar sein könnte und damit viel zu spät. Er telefonierte noch während der CES mit Joe Miller, der mit weiteren Sega of America Angestellten im Hotel war:

„Wir müssen dem Jaguar entgegentreten. Macht es möglich!“
Hayao Nakayama (Nakayama-Zitat von Scot Bayless, Technical Director Sega of America - 2012 im Interview mit sega-16.com)

 

Atari Jaguar | Winter-CES 1994


Am Gespräch nahmen neben Miller und Bayless auch Marty Franz (Vice President of Technology, Sega of America) und Hideki Sato (SEGA R&D, Hardware Design Japan) teil. Nakayama betonte, wie wichtig eine schnelle Antwort auf das neue System sei. Die Geschichte des 32X Add On für den Mega Drive beginnt insofern am 8. Januar 1994. Die Idee seitens Sega Japan sah vor, eine neue modulbasierte 32-Bit Konsole in kurzer Zeit zu schaffen. Diese neue Version des SEGA Genesis sollte mehr Farben aber auch einige limitierte 3D-Kapazitäten bieten, indem Ideen des Sega Virtua Prozessors (SVP) integriert würden. Alles sollte günstiger sein, als die sich seit etwa Mitte 1992 bei Sega Japan befindliche neue 2D-Maschine mit 32-Bit Technologie. An diesem Tage entstand das Project Jupiter.


Miller jedoch empfand die Idee schrecklich. Denn wenn es sich nur um ein verbessertes System handele, sollte es zu einem Add On gemacht werden, statt nur die Farben zu verdoppeln. Sei es dagegen ein ganz neues System mit neuer Software, dann ist das großartig. Miller bestand darauf, gemeinsam eine Entscheidung zu treffen und auch über alternative Lösungen nachzudenken: den Genesis als vorhandene Basis nutzen und nicht die Kunden zu verprellen, die ansonsten ihren Genesis für die neue Hardware ausrangieren würden. Denn die zu dieser Zeit ziemlich knapp 4,5 Jahre laufende Konsole Genesis lief in Amerika bestens. SEGA war die Nummer Eins in Nordamerika noch vor Nintendo und verkaufte sich blendend. SEGA hatte große Unterstützung durch Third-Party-Entwickler, viele interne Entwicklungen in den USA und eine breite Kundschaft. Dies in wenigen Monaten aufzugeben, wäre verrückt. Nicht zu diesem Zeitpunkt. Sega of America entschied sich folglich für das Add On, um gegen die Konkurrenz in Amerika anzutreten. Hier herrschte Einigkeit darüber, dass dies der richtige Schritt war. Denn auch Franz teilte Bayless Meinung, dass der 16-Bit-Markt in naher Zukunft mehr einbrächte als das neue Sega Japan Projekt, das später als Saturn bekannt wurde. Project Jupiter wurde insofern nicht weiter verfolgt. Das neue Projekt trug den Codenamen Mars. Laut Bayless folgte nach der Konversation bereits ein erster Entwurf auf einer Cocktailserviette. Miller dagegen beharrte stets darauf, das war nicht der Fall.

Währenddessen in Japan: Die 16-Bit Maschine war seit Oktober 1988 und damit inzwischen rund 5,5 Jahre auf dem Markt – und das nicht sonderlich erfolgreich. Nakayama wollte einen Nachfolger noch im selben Jahr 1994 veröffentlichen und damit die Weihnachtssaison für sich einnehmen. Schon im März 1994 kamen neue Gerüchte der 32-Bit PlayStation von Sony auf: die auf CD-ROM basierende „Sony PS-X“ käme bereits zum Jahresende 1994 auf den Markt und würde 3D-Effekte beherrschen. Präsentation und Tech-Demos in Tokio veranlassten verschiedene Publisher und Entwickler, für die neue Plattform zu entwickeln. Sega Japan ließ unlängst von der ursprünglichen Idee der modulbasierenden neuen Plattform Project Jupiter ab und entwickelte seinerseits eine auf CD-ROM basierende 32-Bit Konsole unter dem Codenamen Saturn. Module waren teurer als CDs, weswegen die mögliche Modul-Version schließlich fallengelassen wurde. Zudem ließ Sega Japan auch den Plan fallen, einfach nur einen stärkeren Mega Drive als 2D-Konsole zu entwickeln. Stattdessen setzte das Unternehmen auf 3D-Technologie. Als die technischen Spezifikationen der PlayStation bekannt wurden, war klar: der Saturn war in seinem derzeitigen Stadium zu schwach. Neben der 32-Bit Hitachi SH-2 Prozessoren integrierte SEGA einen zusätzlichen Grafik-Prozessor und einen neuen High-End Soundship. Damit stiegen allerdings auch die Kosten der Konsole, zumal das finale Design ebenso kostspieliger sein würde – man rechnete bereits mit Preisen um die 400 US-Dollar. Ebenfalls ging die Spielentwicklung langsam und schwierig voran, da die Konsole aufgrund der technischen Erweiterung auch schwerer zu programmieren wurde. Diese Geschehnisse waren Gründe, weshalb Sega Japan auch dem Project Mars durch Sega of America zustimmte: die Fertigung des 32-Bit Systems als Add On. Zum Ende der CES lud Sega Japan das Team Sega of America ein, um die Entwicklung des neuen Add Ons zu unterstützen. Bayless bezweifelte aufgrund Nakayamas Anruf zudem stark, dass der echte Nachfolger noch 1994 auf den japanischen Markt kommen würde. Denn viel zu sehr hatte der Japan-CEO bei seinem Anruf dahingehend gedrängt, bis Ende 1994 das Add On auch tatsächlich auf dem Markt zu haben.

Mit Unterstützung von Satos Team in Japan schuf das US-Hardware-Team das 32-Bit Add On: das Genesis 32X. Bayless drückte dafür große Dankbarkeit aus: „Die Jungs in Japan waren super. Sie halfen uns bis zum Letzten.“ Beide SEGA Divisionen arbeiteten als Team am 32X. Allerdings konnte der ursprüngliche Entwurf durch Marty Franz - Vice President of Technology, Sega of America – nicht umgesetzt werden.

„Martys ursprüngliches Konzept für das Gerät war einfach und leistungsstark. Das Problem waren die Kosten. Das 32X war hinsichtlich der Zielgruppe oder seinem Platz im Sega-Ökosystem nie klar definiert. Sega Japan sah das 32X klar als Peripherie und als solche durfte es eine bestimmte Obergrenze im Preis nicht überschreiten. Diese Kostenobergrenze hat das 32X schließlich zunichte gemacht. Sato musste die Kosten reduzieren – heraus kam ein 32-Bleh.“
(Scot Bayless, Technical Director Sega of America - 2012 im Interview mit sega-16.com)

 

Wie auch das Sega Japan Projekt Saturn wurde das 32X mit den 32-Bit Hitachi SH-2 Prozessoren ausgestattet. Damit ähneln sich beide 32-Bit Systeme technologisch, sind aber nicht miteinander kompatibel. Zugleich war das 32X mit den Prozessoren nun stärker als ursprünglich durch Sega Japan mit dem Project Jupiter gedacht, wenngleich nicht so leistungsstark, wie von Sega of America eigentlich geplant. Bereits im Juni 1994 wurde die Hardware während der Summer Consumer Electronics Show (S-CES) in Chicago vorgestellt. Weitere Illustrationen und Demos führten die Grafikpower der neuen 32-Bit Generation vor. Spieler bekamen Szenen aus "Super Motocross", "Doom", "Virtua Racing Deluxe", "Star Wars" und "Fahrenheit" (auf CD) zu sehen.

Summer-CES 1994 | 32X Promo

32X Promotional Video


Das Add On würde also auch auf das bereits 1992 in Nordamerika veröffentlichte und eher weniger erfolgreiche SEGA CD Zugriff haben. Denn CD-ROMs waren günstiger und verfügten über mehr Speicherkapazität als Module – eine Tatsache, die eben auch SEGA Japan inzwischen in ihrer neuen Saturn-Hardware ausnutzte. Denn das 32X basiert auf Modultechnik. Der Preis des 32X lag allerdings bei vergleichbar günstigen 159,99 US-Dollar. Mit ihrem „Low Cost“-Weg konterte SEGA damit die Preise der Konkurrenz. Während sich Atari und auch die 3DO Company mit Preisen von 250 und 700 US-Dollar durchsetzen mussten, hatte Sega of America einen festen Kundenstamm mit dem Genesis. Diese Spieler bekamen nun ein vergleichbar günstiges Upgrade auf 32-Bit 3D-Technologie. Sega of America wollte damit weiterhin die Genesis-Kundschaft bedienen aber zugleich mit Software der neuen Generation auch neue Spieler erreichen. Entwickler wie Electronic Arts, Konami, Capcom und Acclaim zeigten Interesse an der neuen Plattform. Viele Ankündigungen bereiteten den Release für das Weihnachtsgeschäft 1994 vor. Zahlreiche mögliche weitere Spiele – darunter „Street Fighter“ oder „Alien vs. Predator“ – machten die Runde. Die Erwartungen an das neue Gerät wurden größer, je näher die 32X-Einführung rückte. Auch die Videospiele-Presse zeigte sich positiv. SEGA verbuchte unzählige Vorbestellungen der Einzelhändler und der Kaufwunsch der Verbraucher zum Upgrade ihres Genesis wurde stärker. Sega of America erwartete, dass das 32X drei bis fünf Jahre auf dem Markt sein werde. Bis April 1995 sollten eine Million Geräte verkauft werden. Der geplante Release: November 1994.

Allerdings kündigte Sega Japan, die ihr Projekt selbst gegenüber Sega of America größtenteils geheim hielten, schließlich den SEGA Saturn an: ebenfalls für November 1994. Nun stand Sega of America dem Problem gegenüber, die eigene Hardware in Nordamerika zu vermarkten, während in Japan eine andere 32-Bit SEGA Konsole startete. Die neue Generation. Als Folge wurde das 32X als „Transitional Device“ (Übergangsgerät) vermarktet – eine Brücke vom Genesis zum Saturn. Als eine Alternative für alle Spieler, die sich den viel preisintensiveren SEGA Saturn nicht leisten könnten. Egal wie SEGA es auch beschrieb, die plötzliche Ankündigung des Saturn durch Sega Japan im gleichen Zeitraum machte jedwede Erfolgsaussicht auf eine große Zukunft für das 32X zunichte.

„Ehrlich gesagt hat uns das vor dem Verbraucher einfach nur gierig und dumm aussehen lassen.“
(Scot Bayless, Technical Director SEGA of America)


Am 21. November 1994 veröffentlichte Sega of America trotz aller Umstände das 32X mit nur wenigen Spielen. Denn die kurze Entwicklungszeit der Hardware brachte auch einen nur kleinen Zeitraum für die Spieleentwicklung mit sich: nicht nur SEGA intern, auch für Third-Party Entwickler. Die Gerüchte der letzten Tage, das 32X würde nur 149 US-Dollar kosten, bewahrheiteten sich nicht. Für 159,99 US-Dollar lieferte SEGA insgesamt 350.000 Einheiten in den ersten drei Wochen aus. Von diesen wurden 200.000 Stück verkauft, davon 100.000 allein zu Thanksgiving und damit drei Tage nach Release. Noch vor Weihnachten stiegen die Verkäufe auf 300.000 Einheiten. Bis Anfang 1995 stiegen die Verkäufe auf 600.000 Stück an. Innerhalb der ersten zwei Monate berichtete SEGA, man habe den Konkurrenten 3DO in den Verkäufen überflügelt. Die 3DO Company bestritt dies. Dennoch schien das 32X viel Potential für die nächsten Monate und Jahre zu haben. Denn obwohl SEGA das Add On nicht im Bundle mit einem Spiel anbot, verkaufte sich das 32-Bit Add On für den Genesis hervorragend. Das verfügbare Angebot übertraf die Nachfrage bei weitem.

Super 32X | Japan Promo

32X | Frankreich Commercial

Genesis 32X und SEGA CD


In Japan wurde das Add On als „Super 32X“ am 3. Dezember 1994 zeitgleich mit der Sony PlayStation veröffentlicht und spielte neben dem bereits im Handel erhältlichen Saturn nur eine Randerscheinung. Ab Januar 1995 konnten europäische Spieler das „Mega Drive 32X“ für 169,99 Pfund erwerben. (In Deutschland: 399,99 DM bzw. rund 200 Euro) Doch SEGA hatte ein Problem: Third-Party-Entwickler bereiteten sich bereits auf die bevorstehende Einführung des SEGA Saturn und der PlayStation im Westen aber auch auf die Einführung des Nintendo 64 vor. Sie glaubten nicht, dass das 32X mit all diesen Systemen der neuen Generation mithalten könnte. Entwickler beschlossen, keine Spiele für das System zu entwickeln. Einige der sich in der Entwicklung befindlichen Titel wurden schnellstmöglich beendet und auf den Markt geworfen. So wurden Gelder in der Entwicklung gekürzt, Spiele beinhalteten diverse Programmierfehler und zeigten nicht, wozu die Hardware eigentlich fähig war. Zudem gab es Beschwerden von Kunden, da dessen 32X offensichtlich nicht korrekt mit ihrem Genesis oder TV arbeite. Denn die Metal-Clips, die an den Mega Drive angebracht werden müssen, um ihn vor elektromagnetischen Spannungen zu schützen, sind klein und etwas schwierig anzubringen. Laut Bedienungsanleitung wird das 32X nur in den Slot des 16-Bitters gesteckt, Clips oder das extra anzuschließende Netzteil werden nicht weiter erwähnt. Auch dadurch gab es Probleme beim korrekten Anschluss mit dem 32X. Die Probleme zwangen SEGA zudem dazu, einen Adapter herauszugeben. Zudem arbeitete Sega of America daran, die Probleme konkret mit einem All-in-One-System zu beheben. Das Project Neptune sollte den Genesis mit dem 32X vereinen, um diverse technische Probleme aus dem Weg zu gehen und die eigene 32-Bit Generation zum Weihnachtsgeschäft 1995 anzukurbeln.

Sega Japan schlug währenddessen die PlayStation in Japan mit ihrem SEGA Saturn. Die japanischen Hersteller Konami und Capcom cancelten Anfang 1995 ihre 32X Projekte, um sich auf den Saturn und die PlayStation zu konzentrieren. Entsprechend forcierte Sega Japan den Release ihrer Saturn-Konsole noch im selben Jahr 1995 auch in Amerika und Europa. War das 32X gerade vor zwei Monaten in Europa veröffentlicht, kündigte Sega of America Präsident Tom Kalinske im März 1995 den Release des SEGA Saturn für September 1995 an – bekannt als Saturnday. Die PlayStation würde nur wenige Tage später in Nordamerika erscheinen. Sega of America steckte mit dieser Anweisung durch Sega Japan erneut in Bedrängnis. Nicht nur, dass sie nun für insgesamt fünf Konsolen entwickeln müssten (Genesis, SEGA CD, 32X, Game Gear und SEGA Saturn) und diese Kapazitäten unmöglich aufrecht erhalten könnten. Mit der offiziellen Saturn-Ankündigung in den Vereinigten Staaten stand das Genesis 32X quasi vor dem Abgrund.

Nach dem erfolgreichen Launch schwand die Nachfrage. Kunden in Amerika fragten sich: Warum sollten sie sich einen 32X kaufen, wenn der Saturn in wenigen Monaten nach Amerika komme? Videospiel-Magazine waren zudem nicht sonderlich begeistert von der kommenden Spielauswahl – beispielsweise "Mortal Kombat 2" oder "NBA Jam". Bei vielen der neu angekündigten Spiele handelte es sich nämlich nur um verbesserte Genesis-Titel. Selbst perfekte Arcade-Umsetzungen wie "Space Harrier" oder "After Burner" galten plötzlich als technisch altmodisch. Die Lage verschlechterte sich, als die Verkäufe des 32X Add On zurückgingen. Infolgedessen senkte SEGA den 32X Preis und verkaufte das Gerät im Bundle mit einem Spiel. Käufer hatten die Wahl: entweder "32X und Star Wars" oder "32X und Doom".

Viele Entwicklungen wurden zum Saturn transferiert (gelistet wurde später beispielsweise Panzer Dragoon) oder vollständig gecancelt (wie „Sonic X-treme“ oder „X-Men“). Nur wenige Entwickler blieben auf dem sinkenden 32X-Schiff und beendeten ihre noch unfertigen 32X-Projekte für SEGA. Nach außen beteuerte Sega of America, das 32X sei auch weiterhin ein wichtiges Produkt. Jedoch mussten auch sie die meisten zur Verfügung stehenden Ressourcen der neuen Saturn-Ära zur Verfügung stellen. Allerdings ordnete Sega Japan an, während der Electronic Entertainment Expo (E3) am 11. Mai 1995 einen früheren Saturn-Launch-Termin bekanntzugeben. Sega of America Präsident Tom Kalinske enthüllte das neue System und gab bekannt, dass bereits die ersten 30.000 Einheiten zur Veröffentlichung an verschiedene große Warenhäuser wie Toys “R” Us ausgeliefert wurden. Der offizielle Release des SEGA Saturn: ab sofort! Diese Ankündigung verärgerte kleinere Einzelhandelsunternehmen, die nicht über den vorgezogenen Launch informiert wurden – darunter Walmart und Best Buy. KB Toys reagierte darauf, indem sie SEGA komplett aus dem Verkauf nahmen. Dem 32X verpasste dies den letzten Todesstoß. Im September 1995 senkte SEGA den Preis des 32X auf 99 US-Dollar, veröffentlichte im Oktober aber mit „Virtua Fighter“ ein neues 32X-Spiel, das bereits Starttitel des SEGA Saturn war. Dem voran ging allerdings ein liebevolles Starter Kit mit dem Slogan „Patience is a Virtua“. Das Virtua Fighter Training Pack beinhaltete ein T-Shirt, ein How-to-Video mit Informationen zum Spiel, sowie Coupons zur Einlösung beim Kauf des Spiels zum Release. 

Im Oktober stellte Sega of America das Projekt SEGA Neptune ein. Das ursprünglich geplante Weihnachtsgeschäft mit dem Neptune alias SEGA Genesis und 32X in einem Gerät gehörte nun dem SEGA Saturn. Toys “R” Us schloss das 32X sogar aus dem Weihnachtsangebot aus und verkündete damit auf eigene Weise das Ende des 32-Bit Systems. Anfang 1996 stellte SEGA das 32X komplett ein. Die letzten Geräte wurden für 19,95 US-Dollar verramscht. In Europa veröffentlichte SEGA mit „Darxide“ seinen letzten exklusiven 32X-Titel. Sega of America verabschiedete sich im März 1996 mit dem in Amerika exklusiven Spiel „Spiderman: Web of Fire“ vom 32X. SEGA verkaufte vom 32X insgesamt rund 800.000 Einheiten. Das 32X gilt seitdem als wahrscheinlich größter Flop und kommerzieller Misserfolg in SEGAs Hardware-Geschichte.

Interessante Facts:

Zur Winter-CES 1994 stellte Silicon Graphics (SGI) gemeinsam mit Nintendo das Project Reality alias Nintendo 64 vor. Ein neues 64-Bit System, das in Zukunft gegen den Atari Jaguar aber auch gegen SEGA antreten sollte. Nintendo war allerdings die zweite Wahl. Denn zuvor arbeitete SEGA of America mit Silicon Graphics zusammen – ein zu dieser Zeit führender Chip-Hersteller. Silicon Graphics sollte Chips für Sega Japan und dessen neues Konsolenprojekt produzieren – später bekannt als SEGA Saturn. SEGA Japan lehnte dies ab.

Das Angebot seitens Silicon Graphics ging schließlich an Nintendo. Das Resultat war das Nintendo 64, das eine 64-Bit CPU spendiert bekam. Damit übersprang Nintendo die 32-Bit Ära des SEGA Saturn bzw. der Sony PlayStation und stieg nach dem 16-Bitter SNES in die 64-Bit Ära ein – wie Atari mit dem Jaguar.

„Jeder weiß, dass das 32X ein Notpflaster ist. Es ist kein System der ‘nächsten Generation‘. Es ist ziemlich teuer. Es ist nicht besonders leistungsfähig. Es ist schwer zu programmieren und mit dem Saturn nicht kompatibel.“
(Trip Hawkins, The 3DO Company Gründer und CEO)

 

Diese Antwort gab Hakwins auf die Frage, ob der SEGA Genesis mit SEGA CD und 32X in der Lage wäre, Saturn Software abzuspielen. Denn SEGA ließ diese für Kunden wichtige Frage unbeantwortet. Damit hatte der Gründer der 3DO-Company Recht. Das eigene Produkt, die 32-Bit Konsole 3DO, war mit seinen rund zwei Millionen verkauften Einheiten letztendlich weit erfolgreicher. Schaut man sich die Entstehung der Company aber genauer an, so gibt es weitere interessante Fakten zu den Hintergründen der 3DO-Konsole. Gründer Trip Hawkins, auch Gründer von Electronic Arts, suchte zunächst Partner für das neue System. Auch SEGA steckte in ernsthaften Gesprächen, sich für den 3DO zu engagieren, so Tom Kalinske in einem Interview.

„Wir hatten ein Treffen mit Trip Hawkins in Japan. Wir sprachen über die Möglichkeit, ob sich SEGA zusammen mit Trip für den 3DO engagieren sollte. Ich war nicht dafür, hauptsächlich wegen der Komplexität des Produkts und der Kosten.“
(Tom Kalinske, Präsident Sega of America – 2015 im Interview mit reddit.com)

 

Da die Konsole nicht von der 3DO Company selbst gebaut wurde, sondern in Partnerschaft mit sieben anderen Unternehmen (darunter das heutige Panasonic, AT&T, Electronic Arts oder Time Warner), hätte SEGA eines der 3DO-Produzenten sein können.

Mit dem Launch der PlayStation und des SEGA Saturn im Jahr 1995 war der Markt für den 3DO ebenfalls verloren. Schon 1996 wurde der Preis von 699 US-Dollar auf 199 US-Dollar gesenkt. Die 3DO-Partner – vor allem Panasonic – senkten schon viel früher die Preise oder gaben die Konsole gänzlich auf, wie Produzent Goldstar. 1996 wurde das 32-Bit System komplett eingestellt. Der Nachfolger M2 wurde gecancelt und die 3DO Company verkaufte die eigene Hardware-Abteilung für 100 Millionen US-Dollar an Panasonic. Etwa 1997 wandelte sich der Hersteller zu einem Third-Party-Entwickler und war bekannt für Spiele wie „Army Man“ oder „Heroes of Might and Magic“ – also ganz wie SEGA nach dem Dreamcast Aus. Allerdings ging die 3DO Company im Mai 2003 in die Insolvenz und wurde aufgelöst.

Erste Erfahrungen mit CD-ROM machte SEGA ab 1991 mit dem Mega-CD in Japan. Das Gerät, das Mitte 1992 auch in den USA erschien, war sehr preisintensiv und eher mäßig erfolgreich. Insbesondere für den Westen hätte SEGA entsprechend vorab urteilen können, welche Erfolge ein weiteres Add On haben könnte. In Japan werkelte SEGA seit 1992 an dem Mega Drive Nachfolger, an dessen Entwicklung sich Sega of America durch Kooperationsgespräche mit Sony oder Silicon Graphics (SGI) offensichtlich stark versuchte zu beteiligen. In Japan wurde letztendlich jede Idee abgelehnt und die Fortschritte wurden auch gegenüber Sega of America größtenteils geheim gehalten. Wie aus späteren Interviews und Konversationen ehemaliger SEGA Angestellten zu entnehmen ist, drängte Japan CEO Hayao Nakayama Anfang 1994 dazu, gegen die neue Konkurrenz Atari Jaguar anzutreten. Viele Hintergründe dazu sind heute noch immer nur zu erahnen:

  1. Der ursprüngliche Plan: ein verbesserter Mega Drive mit mehr Power und Farben – womöglich heutzutage vergleichbar mit einer Xbox One X gegenüber der Xbox One oder einer PS4 Pro im Vergleich zur normalen PS4. Da diese allerdings einfache 3D-Animationen beherrschen sollte, darf man die Kompatibilität zum normalen Mega Drive / Genesis bezweifeln.

  2. Nakayama stimmte in einem zweiten Telefonanruf dem Add On zu. Er wollte zudem sicherstellen, dass das 32X auch tatsächlich noch 1994 veröffentlicht wird. Somit wurden 32X und SEGA Saturn gleichzeitig durch die SEGA R&D Japan entwickelt. Die weiterhin offene Frage in der History des 32X: Was wollte Nakayama mit dem 32X eigentlich kurz vor der Saturn-Veröffentlichung erreichen? Im Nachhinein wirkt seine Idee der Jaguar-Konkurrenz wie ein nicht zu Ende gedachter Schnellschuss: unnötige Entwicklungskosten, die Ressourcen der japanischen Spieleentwicklung lagen ohnehin beim Saturn und selbst eine Verzögerung des Saturn um wenige Monate rechtfertigt keine „Zwischenhardware“.

  3. Aufgrund der Datenmenge waren CD-ROMs besser geeignet, weswegen das 32X auch den Mega-CD nutzte – ein bereits mäßig erfolgreiches Add On. Entsprechende Spiele zwingen den Spieler zu weiteren Investitionen, was letztendlich ebenfalls Kosten im Bereich des SEGA Saturn verursacht hätte, ohne dessen Stärke tatsächlich zu erreichen. Wusste man das nicht vorher?

  4. Schon Sega Japan unterstützte das 32X kaum. Warum sollten es dann Third-Party-Entwickler tun? Folglich sprangen auch japanische Software-Entwickler wie Capcom oder Konami direkt wieder ab. Wie hatte sich Sega Japan die Zukunft des Genesis + 32X also vorgestellt?

Sega of America dagegen entwickelte, bereitete den Launch vor und hatte eine breite Kundschaft mit den Genesis, der noch eine gewisse Zeit länger gelebt hätte – vermutlich auch ohne 32X. Durch den raschen Saturn-Start wurden Händler vergrault, Kunden irritiert, der Genesis fallengelassen und der Fokus komplett auf den SEGA Saturn gesetzt – alles gleichzeitig ab Mai 1995. Und nur zwei Jahre später verkündet der neue Sega of America Präsident Bernie Stolar auf der E3 1997: „Der Saturn ist nicht unsere Zukunft!“ … und stieß Käufern und Fans erneut vor den Kopf.

Der SEGA Genesis lief in Nordamerika bestens. Der 3DO war Anfang 1994 mit 699,99 US-Dollar wahnsinnig teuer und Atari müsste mit dem eigenen 64-Bit Gerät erst wieder eine Stammkundschaft aufbauen. Diese hatte SEGA längst. Bereits im März 1994 gab es Gerüchte, der Nachfolger käme Ende 1994 in Japan auf den Markt. Ein Jahr später würde die Hardware insofern sehr wahrscheinlich auch in Nordamerika im Handel stehen. Sega of America hätte insofern weiterhin Software für ihren 16-Bitter und dem CD Add On entwickelt, bis der Saturn Launch erfolgt wäre.

Sega of America aber „kämpfte einige Zeit gegen die Architektur des Saturn“, so CEO Tom Kalinske. Womöglich war Nakayamas Anruf für Sega of America die Chance, selbst die Richtung zu bestimmen. Insbesondere nach den gescheiterten Kooperationen mit Silicon Graphics und Sony.

„Ich wollte unbedingt versuchen, den Genesis länger am Leben zu erhalten und den Saturn hinauszögern. Ich glaube übrigens immer noch, dass ich damit Recht hatte. Ich denke immer noch, dass der Markt für einen längeren Zeitraum bestand, als wir ihn mit dem Genesis genießen konnten. Das 32X war ein Versuch, seine Lebensspanne zu verlängern. Das hat wohl nicht so funktioniert. Aber es war die richtige Strategie, um den Genesis am Leben zu halten.“
(Tom Kalinske, Präsident Sega of America – 2015 im Interview mit reddit.com)

 

Tom Kalinske und sein Team rund um Joe Miller, Marty Franz und Scot Bayless hatten, wie es die 32X History zeigt, ein eigentlich viel stärkeres Add On in Planung. In seiner Kraft wäre es dann vermutlich dem SEGA Saturn ebenbürtig gewesen – sicherlich auch teurer als die 169,99 US Dollar zum Launch. Ein Add On wäre es geblieben, um die Genesis-Kundschaft weiterhin mit Spielen zu versorgen und gleichzeitig in Konkurrenz zum Atari Jaguar, dem 3DO aber auch gegen das kommende Nintendo 64 zu stehen. Insgeheim sagt die 32X History nicht aus, über welche Power das 32X eigentlich verfügen sollte. Wäre vielleicht durchaus ein 64-Bit Upgrade des Genesis möglich gewesen? Immerhin hieß die Konkurrenz sprichwörtlich Atari Jaguar als 64-Bit System. Der Launch des 32X war erfolgreich. Über das Jahr 1995 sollten vielversprechende Spiele folgen. Für Weihnachten war der SEGA Neptune geplant, das All-in-One System als 32-Bit Maschine. Im Grunde das, was Nakayama ursprünglich als Project Jupiter geplant hatte: ein verbesserter Mega Drive als neues Gerät mit neuen Spielen. Aber diese Verbindung schuf Sega of America langsam, damit Genesis-Besitzer nicht ihre Konsole ausrangierten. Insofern ein cleverer Schachzug. Vor allem in folgender Hinsicht:

  1. Das 32X wäre in der Tat viel stärker gewesen, wie von Sega of America ursprünglich geplant.

  2. Volle Abwärtskompatibilität zum Mega Drive / Genesis und Master System. (Man bedenke, selbst ein Game Gear Converter war in Planung.)

  3. Verbindung mit dem SEGA CD Add On oder gar als weiteres System, das Genesis, 32X und SEGA CD in einem Gerät verbindet. 

„Ich denke, wir wären erfolgreicher gewesen. Unterm Strich wären wir sicher erfolgreicher gewesen. Ich meine, der Saturn Launch hat uns ein Vermögen gekostet…“
(Tom Kalinske, Präsident Sega of America – 2015 im Interview mit reddit.com)

 

Es bleibt die Frage offen, wie lange Sega of America den Saturn nach hinten verschieben wollte? Für immer? Hätte SEGA im Westen mit den eigenen Planungen einer 32-Bit Konsole – dem SEGA Neptune – mehr Erfolge feiern können als mit dem Saturn, der dann vielleicht sogar mit dem stärkeren 32X/Neptune hätte kompatibel sein können?